Eustachius und Kunibert Lussy
Kunibert Lussy OFMCap wuchs in Stans an der Schmiedgasse auf. Nach dem Kollegi studierte er Theologie in Freiburg und feierte die Primiz 1922. Es folgten drei Jahre Lehrtätigkeit an der Klosterschule in Näfels. Ab 1926 war er Missionar in Tanzania. Seine erste Station dort war Ifakara. Ein Jahr später wurde er nach Sali gesandt, um dort eine Katechistenschule zu gründen. Die Pläne für Sali änderten sich aber, sodass Pater Kunibert Lussy einen neuen Auftrag erhielt: Er übernahm die Leitung und den Ausbau der Missionsstation Ruaha. 1946 wurde er in die Schweiz zurückberufen. Bis zu seinem Tod 1970 war er als Redaktor, Sekretär, Lehrer und Exerzitienmeister tätig [über Eustachius (?) wissen wir fast nichts].
Nekrolog
Es ist nicht sehr einfach P. Kuniberts Nekrolog zu schreiben; vielseitig war der Mann, und keine seiner Seiten sollte vergessen werden, wenn das Bild dem Original einigermassen gleichen soll. Paul Lussy war zweifellos aussergewöhnlich talentiert, mit spezieller Veranlagung und Neigung für die Naturwissenschaften. Das brachte ihn, als Kollegistudent, in nahe Beziehung zu P. Aurelian sel., der den Jungen das Auge für die Wunder und die Geheimnisse der Natur erschloss.
Nach den damals üblichen Lern- und Wanderjahren eines jungen Kapuziners durch Philosophie, Theologie und Provinz wurde P. Kunibert 1923 ohne jede weitere Fachausbildung als Lehrer an die Klosterschule Näfels versetzt. Zeit seines Lebens hat er mit Freude an die drei Jahre zurückgedacht, die er auf dem - wie P. Pius sel. zu sagen pflegte - "glarnerische Alcazar" erlebte. Land und Leute gefielen ihm ausgezeichnet. So mag es ihm nicht leicht geworden sein, sich von Näfels loszureissen, um sich unserer ostafrikanischen Mission zur Verfügung zu stellen. 1926 reiste er nach Afrika. Sein Probejahr machte er in Ifakara, wo sein Landsmann von ob dem Wald, P. Emmanuel, regierte. Eben war man am Bau einer Andreaskirche (sie hat später dem jetzigen Kirchenbau weichen müssen); P. Kunibert griff zu und eignete sich dabei viel praktisches Wissen im Maurerhandwerk an, das er später nicht ungern an seine "Untergebenen" weitergab.
Ein Jahr darauf sandte in der Bischof nach Sali, um dort eine Katechistenschule zu gründen und zu leiten – eine Aufgabe, die ihm lag, und derer er sich mit Geschick annahm. Nicht zuletzt freute ihn das Vertrauen, das man ihm damit entgegenbrachte.
Inzwischen waren aber zwischen Regierung und Mission neue Schulpläne aufgestellt worden. Seine Schüler mussten nach Kwiro ziehen, um dort in die neu entstehende Central School eingegliedert zu werden. P. Kunibert sass auf dem Trockenen, aber im rechten Moment erhielt er einen neuen Auftrag, einen Auftrag fürs Leben: er solle die im Enststehen begriffene Missionsstation Ruaha übernehmen und ausbauen. Ruaha! Ihr, die Ihr ihn kanntet, werdet unwillkürlich diesen Namen im fast unnachahmlichen Ton laut ausgesprochen haben, in dem wir ihn tausendmal aus seinem Munde gehört haben. Ruaha bedeutete ihm alles, oder doch fast alles! Wer mit ihm zusammenkam oder gar zusammenlebte, musste nicht lange warten, bis er mit dem Thema Ruaha begann. Angefangen von den „Urzeiten", da er noch allein auf dem Ruahahügel lebte und sich von einer Herde Meerkatzen (Affen!) ernährte, die er schön langsam Stück für Stück abschoss und verzehrte (was ihm damals bei den Engländern, die darum wussten, den Übernamen „the cannibal" eintrug).
Bis zu seiner definitiven Rückkehr nach Europa war P. Kunibert (darf ich ihn kurz Kuni nennen, wie wir es in Afrika gewohnt waren und wie er es gerne hörte, lieber als die Verballhornung des Namens durch die Afrikaner: Kuniboriti – kuni = Brennholz, boriti = Balken - ), also bis zur Heimkehr war Kuni, abgesehen von Unterbrüchen, durch Heimaturlaub und Kriegsaushilfe im Iringagebiet bedingt, „Papst und Kaiser" von Ruaha. Ganz im Sinne eines Paternalismus, wie er damals eben noch gang und gäbe war, und sicher nicht immer zum Unglück für die Missionierung. Wäre freilich nicht der von den Afrikanern hochverehrte Br. Dominik gewesen, der es in Ruaha noch länger aushielt als Kuni, würden sich die braven Schäflein doch wohl noch öfters in Böcke verwandelt haben, als es tatsächlich der Fall war. Sie kannten ihren Baba Kuniboriti und wussten, dass sie etwa mit einer ein paar Tage dauernden ngoma (Tanz mit Begleitung schwerer Trommeln) an seinen Nerven sägen konnten!
Unter P. Kuniberts Leitung und mit seiner manuellen Mithilfe entstand in Ruaha eine ganz afrikanische Kapelle mit Wohnung unterm gleichen Dach, später das jetzige Patreshaus, von dem ein Visitator einmal schrieb, es sehe von weitem aus wie eine Villa am Zürichberg. Nur von weitem! Wer es bewohnte wusste, dass es nicht ganz gelungen und des Luxus ziemlich bar war. P. Kunibert stellte keine Luxusansprüche ans Leben. Er war diesbezüglich eher zu bescheiden. Auch was die Kost anging, bei der er sich mehr um die Quantität als um die Qualität kümmerte. Wer bei der Vertilgung des Trockenfleisches, das er jeweils sackweise von seinen Jagden heimbrachte und das viele Wochen lang regelmässig auf den Tisch kam, sich fast die Zähne ausgebissen hat, wird mir das gerne bestätigen.
Dem ersten Kirchlein folgte ein zweites, solid gemauertes, das leider von Anfang an zu klein konzipiert war und in kurzer Zeit zu eng wurde. Denn im vom Islam bedrohten Ruahatal nahm in den Jahren von P. Kuniberts Hirtensorge die Christenzahl schnell und bedeutend zu. So entstand schliesslich die jetzige Michaelskirche, über deren genesis, ach, noch einiges zu erzählen ist. Es erübrigt sich, alle weiteren Gebäulichkeiten, die im Laufe der der Jahre in und um Ruaha entstanden, aufzuzählen. Man darf ohne Zweifel: il a bien mérité de la mission.
P. Kunibert wurde allmählich müde. Krankheiten und Alter nagten an ihm und machten den Abschied von Ruaha und Afrika leichter. Da er schon seit Jahren durch gediegene Artikel für die heimatlichen Missionsschriften aufgefallen war, machten ihn die Oberen zum Propagandisten und Redaktor. Da konnte er mit seinen Fotos, Dias und Filmen und seiner Fabulierkunst weiterarbeiten für die Mission; er tat es gerne, bis die geschwächte Gesundheit ihn zur Demission zwang. Es folgte, infolge guter persönlicher Beziehung, die Gründung von Ennetbaden, der er ein paar Jahre vorstand, dann ein paar Jahre Sursee, wo er sich als Hilfslehrer wiederum bewährte, schliesslich ein Jahr als Sekretär des Vizepostulators in Stans, an das er nicht gerne zurückdachte, weil er in seinem Leben nie so schwer habe arbeiten müssen wie damals … Zug wurde zur Endstation seines Lebens. Hätte man denen, die ihn damals in Afrika kennenlernten, vorausgesagt, Kuni werde in den alten Tagen noch im In- und Ausland als Exerzitienmeister walten, man hätte wohl ein ungläubiges Kopfschütteln geerntet …
Denn gerade da schien seine schwache Seite sich zu verbergen. Er war in besonderer Art an Naturwissenschaft interessiert: Geologie, Botanik, Zoologie. Besonders an letzterer! Stand sie doch in Beziehung zur Jagd, der Kuni so gern oblag. Er war freilich nicht Trophäenjäger, er jagte nicht um der Jagd willen. Es ging da regelmässig um die „Verbesserung" der Kost auf der Mission. Dass ihm aber die Jagd nicht ein „Muss" war, beweist die Freude, mit der er bis an sein Ende Jagdgeschichten erzählte, in berufsmässigem Jägerdeutsch, in das sich hie und da auch etwas Jägerlatein mengte. Jagdgeschichten, über denen er die Zahl der von ihm getauften Negerlein vergass … Viel Zeit und Eifer verwandte er in früheren Jahren aufs Fotografieren. Seine Bilder werteten unsere Missionszeitschriften wesentlich auf, seine Filme – die ersten Schwarz-Weiss-Filme aus unseren Gebieten – erleichterten die Propaganda.
Mit der Lichtbildkunst hängt ein anderes Hobby zusammen, das wir hier nennen wollen – ein Hobby, das er sein ganzes Leben lang pflegte: die Malerei. P. Kunibert hatte ohne Zweifel eine starke künstlerische Ader (Nidwalden!). Freilich war sein Mal- und Zeichentalent nie weiters ausgebildet worden. So schuf er kaum je etwas Originelles, sondern begnügte sich mit dem Kopieren. Ungezählte Male hat er Bilder von Fritz Kunz in Farbe, Kohle und ganz besonders in Brandmalerei kopiert. So oft, dass es da und dort schwer hielt, die nötigen Wände zum Aufhängen der Bilder zu finden. Ich fürchte, dass es ihnen ähnlich ergehen wird wie seinen Brandmalereien in der Kirche von Ruaha: diese wurden von den Termiten aufgefressen, jene werden wohl auf den Estrichen dem „Zahn der Zeit" zum Opfer fallen. – In den letzten Jahren widmete er sich mehr und mehr dem Studium der Kunst und der Lektüre von Kunstbüchern und gelegentlichen Kunstreisen, vor allem in den süddeutschen Raum des Barocks und Rokoko. Unermüdlich konnte er davon erzählen, wenn er ein nichts Böses ahnendes, geduldig zuhörendes Opfer fand.
Seine Schwäche – oder soll ich sie Stärke nennen? – für die Naturwissenschaften und damit verbundene Erfahrungszweige machte sich auch im von ihm redigierten „Missionsbote" bemerkbar. Er schrieb über „Kulturarbeit und Mission" und brachte unter diesem Titel Strassen- und Brückenbau (o weh, beinahe hätte ich vergessen, unsern Kuni als Strassenbauer vorzustellen!), der Missionar im Kampfe mit den wilden Tieren, vom Bauen, Landwirtschaft, Krankenpflege, Schule, Erziehung und anderes. Er schrieb des weiteren über alte Kulturen in Ostafrika, über afrikanische Seelsorge, wobei er Gelegenheit hatte, von den Anschauungen der heidnische Wapogoro, unter denen er so lange gelebt hatte, zu erzählen. Man merkte, wo sein besonderes Interesse lag.
Ja, unser Kuni. In ihm waren gegensätzliche Eigenschaften eigenartig gemischt: er war ein lieber und treuer Mitbruder, der freilich mit seiner massiven Sprache und Ausdrucksform abstossen konnte. Er hatte einen weichen Kern, den er unter äusserer Rauheit verbarg. Er war bestimmt kein angenehmer Untergebener, der seine Meinung nicht verbarg, er gab aber zumeist doch wieder nach. Er konnte zürnen; aber ich weiss, dass er immer auch vergab, wenngleich das Vergessen schwerer fiel als das Verzeihen. Er war keine ausgesprochene Kämpfernatur, konnte er doch, notfalls, in die Krankheit fliehen. Besonders eignete ihm wohl sein auffälligster Charakterzug – eine Selbstüberzeugung, ein Selbstbewusstsein voll entwaffnender Naivität. Vielleicht erklärt das auch jenes Hobby, das am meisten Heiterkeit, aber auch Ablehnung hervorrief: das Pendeln, von dem er nicht lassen konnte. Wenn er sich noch so oft damit lächerlich machte, ja, in wenigen tragischen Fällen damit fast unverantwortlich wirkte, hier liess er sich nicht bekehren. Nein, Selbstkritik war nicht seine Stärke, und damit hat er wohl manchen Mitmenschen abgestossen. Wäre er weniger intelligent und talentiert gewesen, man hätte diese Schwäche wohl eher ertragen. Es soll aber auch gesagt sein, dass er die Stärke, Tüchtigkeit und Leistung der anderen anerkannte.
Mancher hat vielleicht darüber seine guten Seiten übersehen: seinen festen Glauben (er hat wohl kaum je eine Glaubenskrise erlebt), seine männliche Frömmigkeit, seinen Eifer für die Sache Gottes. Alles in allem genommen: ein grosser Mann, ein lieber Mitbruder, ein reiches Leben. Den fast plötzlichen Tod brauchte P. Kunibert nicht zu fürchten: er war wohl vorbereitet. R.I.P.
Hilmar Pfenniger
Aus "fidelis, 57. Jahrgang 1970"